02.09.2010

Welches Analgetikum durch Rettungsassistenten in Notkompetenz?

Führung und Taktik: In der Stellungnahme der Bundesärztekammer (BÄK) zur Medikamentenapplikation durch Rettungsassistenten (RAs) in Notkompetenz wird die Gabe eines Analgetikums mit aufgeführt. Seither gibt es viele Diskussionen rund um dieses Thema aber noch kein überzeugendes Konzept. Mit der flächendeckenden Einführung der Funktion des Ärztlichen Leiters Rettungsdienst (ÄLRD) gewinnt dieses Thema neue Aktualität. Aber welches Medikament könnte für den Einsatz durch RAs geeignet sein?

Zahlreiche Organisationen und ärztliche Standesvertretungen haben Stellungnahmen zum Thema Analgetikagabe in Notkompetenz abgegeben (BÄK, BAND / DIVI, Bundesverband der Ärztl. Leiter Rettungsdienst), noch zahlreichere Publikationen diskutieren das Thema kontrovers (s.u.). Allen gemeinsam ist dass ein überzeugendes Kozept bisher fehlt, und die Organisationsverantwortung dem ÄLRD auferlegt wird.

Die Gabe von Medikamenten durch Nicht-Ärzte stellt einen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz und, je nach Substanz und Zubereitung, ggf. auch gegen das Betäubungsmittel- und das Arzneimittelgesetz dar und ist strafbar. Zusätzlich kann der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt sein. Daneben könnten arbeits- und haftungsrechtliche Konsequenzen drohen. Die Strafbarkeit der Medikamentenverabreichung kann unter bestimmten Umständen durch den §34 StGB (rechtfertigender Notstand) abgewendet werden, sofern diese die einzige Möglichkeit darstellt, Gefahr für ein höherwertiges Rechtsgut (Leben, Gesundheit) abzuwenden.

Eine wichtige Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Medikamentengabe durch RAs ist dass das Mittel auch geeignet ist einen relevanten Nutzen für den Patienten zu bringen. In Bezug auf Schmerzbehandlung heißt das, dass die Schmerzlinderung schnell einsetzen und stark wirksam sein muss, damit der Patient von einer Behandlung vor Eintreffen des Notarztes profitieren kann. In Grafik 1 ist der Nutzen für den Patienten bei stark wirksamer und rasch einsetzender Analgesie als blaue Fläche zwischen den beiden Schmerzverläufen (blaue Linie: Schmerzverlauf wenn auf den Notarzt gewartet wird; rote, gestrichelte Linie: Analgesie durch RA in Notkompetenz) dargestellt. Solche rasch und stark wirksamen wären etwa i.v. applizierte Opiate oder Ketamin / Esketamin.

Ist für die Analgesie in Notkompetenz jedoch ein Mittel oder eine Applikationsform vorgesehen, die zwar eine starke, aber langsam einsetzende Wirkung hat (z.B. Opiat subkutan oder Ketamin intramuskulär), ist der Gewinn für den Patienten nur gering (wieder dargestellt als blaue Fläche in Grafik 2). Das gleiche gilt für schwach wirksame Analgetika, selbst wenn die Wirkung rasch einsetzt (Grafik 3). Für die meisten Analgetika die für den Einsatz in Notkompetenz diskutiert werden gilt jedoch dass sie schwach wirksam und langsam anschlagend sind (Suppositorien, Parecoxib), schon deshalb weil einige selbst bei i.v.-Gabe langsam als Kurzinfusion gegeben werden müssen (Metamizol, Paracetamol i.v.). Hier ist für den Patienten gegenüber dem Warten auf den Notarzt mit seinen Möglichkeiten zur Opiat- oder Ketamingabe überhaupt kein Nutzen zu erwarten.

Der Anwendung der verfügbaren stark und rasch wirkenden Analgetika durch RAs in Notkompetenz stehen schwerwiegende Argumente entgegen: Die stark wirsamen Opiate unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz, was eine Verwendung durch RAs ohne individuelle ärztliche Anordnung rechtlich nicht zulässt. Esketamin, und mehr noch Ketamin, sind primär Narkosemedikamente mit potientellen schweren Nebenwirkungen (Atemstillstand, Albträume, Hypersalivation). Die Anwendung von Ketamin wird sogar nur Ärzten mit Erfahrung in Anästhesie oder Notfallmedizin empfohlen. Zur Unterdrückung von Nebenwirkungen ist häufig eine Begleitmedikation erforderlich (Benzodiazepine und/oder Atropin).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aus meiner Sicht die Analgetikagabe durch RAs vor Eintreffen des Notarztes nur dann zulässig ist, wenn ein Weg gefunden werden kann bei dem das Rettungsfachpersonal ein schnell und stark wirksames Analgetikum verwenden kann. Es erscheint fraglich ob es derzeit ein Schmerzmittel auf dem Markt gibt, welches für eine Applikation in Notkompetenz geeignet ist. Alternative Organisationsformen, wie eine telefonische ärztliche Einzelfalldelegation während des Einsatzes an entsprechend qualifizierte Assistenten, sollten bei der Diskussion nicht aus den Augen verloren werden.

Quellen:
Stellungnahmen: BÄK, BAND / DIVI, Bundesverband der Ärztl. Leiter Rettungsdienst (Notarzt 2010; 30: 188).
Publikationen:Notarzt 2005; 21: 81, Notarzt 2009; 25: 17, Notarzt 2009; 25: 1, Notarzt 2009; 25: 37, Notfall und Rettungsmedizin 2010 online first.
Fachinformation Ketanest S, Fachinformation Ketamin-ratiopharm.

2 Kommentare:

  1. "Alternative Organisationsformen, wie eine telefonische ärztliche Einzelfalldelegation während des Einsatzes an entsprechend qualifizierte Assistenten, sollten bei der Diskussion nicht aus den Augen verloren werden."

    Diese ist doch aufgrund des nicht bestenden Behandlungsvertrags mit dem Notarzt rechtlich überhaupt nicht haltbar!

    oder???

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  2. Nun, eine telefonische Beratung ist in der ambulanten Versorgung Gang und Gäbe. Ein persönlicher Kontakt ist für das Zustandekommen eines Behandlungsvertrags auch nicht Voraussetzung. Der Patient müsste dem Verfahren aber nach Information durch das RD-Personal zustimmen. Ist dies Aufgrund des schlechten Zustand des Patienten nicht möglich kann man immer noch von seinem mutmaßlichen Willen ausgehen bzw. in Geschäftsführung ohne Auftrag handeln.

    Ein andere Möglichkeit wäre dass der anfahrende selbst Notarzt den Telefon-Vorabkontakt übernimmt (sofern er nicht selbstfahrend ist), was letztlich das Unproblematischste wäre. Dann ist ohnehin vom Zustandekommen eines Behandlungsvertrags im weiteren Verlauf auszugehen, und er kann das verordnete Opiat selbst aus dem Betäubungsmittelbuch austragen.

    Vielleicht wollten Sie auch auf die Frage der Abrechenbarkeit der entsprechenden ärztlichen Leistung hinaus (was einen Behandlungsvertrag voraussetzt)? Bei Privatpatienten könnte die entsprechende GOÄ-Ziffer abgerechnet werden, bei Kassenpatienten (nach Zustimmung duch die Kostenträger) vielleicht die Zweitnotarztpauschale oder ein Notfallbehandlungsschein. Falls die Aufgabe der Telefonkonsultation dem Ärztl. Leiter Rettungsdienst übertragen würde könnte es unter dessen Aufwandsentschädigung fallen.

    Übringes ist ein solches Verfahren bereits umgesetzt, sogar komplett ohne Notarzt-Alarmierung (was ich persönlich nie befürworten würde): Siehe Greb et al., Notfall und Rettungsmedizin 2010.

    Vielen Dank für Ihren Kommentar!

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