11.11.2010

Kaprun: 10 Jahre nach der Katastrophe und die verzweifelte Suche nach einem Schuldigen

Kommentar: Am 11. November 200o starben beim Brand in der Kapruner Gletscherbahn 155 Menschen [Wikipedia]. Am 10. Jahrestag bekräftigten die Angehörigen Ihre Enttäuschung darüber, dass bisher kein Schuldiger für die 155 persönlichen Katastrophen identifiziert ist. Doch selten lässt sich für Katastrophen eine singuläre Ursache verantwortlich machen.

Der Ruf nach Gerechtigkeit erschallt laut dieser Tage vom Fuß des Kitzsteinhorns und klingt fast wie ein Ruf nach Vergeltung. Was aus Sicht der Opferhinterbliebenen, die sich von einem Schuldspruch vor Gericht eine Erlösung von der quälenden Frage nach dem Warum erhofften, irgendwie verständlich erscheint, geht aber an der Realität der Katastrophenentstehung vorbei:

Kaum eine Katastrophe lässt sich auf eine isolierte Ursache zurückführen, fast immer handelt es sich vielmehr um ein sogenanntes Systemversagen, im Volksmund gerne "Verkettung unglücklicher Umstände" genannt. Meist braucht es viele kleine Fehler in der Planung, der Ausführung, der Überwachung, der Fehler-Früherkennung und dem Krisenmanagement damit ein technischer Prozess derart entgleist.

Auf die Gletscherbahn übertragen könnte das etwa heißen, dass (und die Elemente dieser Kausalkette sind von mir zu Anschauungszwecken frei erfunden) vielleicht Person A einen nicht perfekt geeigneten Heizlüfter ausgesucht, Firma B einen kleinen Konstruktionsfehler gemacht, Firma C beim Einbau ein wenig geschludert, Person D einen Defekt improvisiert repariert, die Aufsichtsbehörde E bei der Überprüfung ein Auge zugedrückt, Fahrgast F seine Skijacke auf dem heißen Gerät abgelegt und Fahrer G die Rauchentwicklung nicht ernst genommen habe könnte. Man muss nun kritisch fragen ob diese Versäumnisse für sich genommen eine Verurteilung rechtfertigen würden...?

Die Theorie des Systemversagens hat auch seinen positiven Aspekt: Durch Identifizierung und sytematische Vermeidung kleiner, banal erscheinender Risikosituationen lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines Disasters erheblich senken. Mit diesem Ansatz hat es der Chemie-Konzern Du Pont vor langer Zeit geschafft, seine Betriebsunfallrate auf unter 2% des Branchendurchschnitts zu senken.

Der Wunsch der Betroffenen nach Antworten ist zu respektieren. Allerdings sollte sich die Presse und vor allem die Justiz nicht von dem Ruf nach dem Verantwortlichen beeinflussen lassen. Die Wahrheit ist zu ausführlich als dass sie in eine Schlagzeile passen könnte.

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